2024: So langsam wie möglich - Predigt zur Jahreslosung

2024: So langsam wie möglich - Predigt zur Jahreslosung

2024: So langsam wie möglich - Predigt zur Jahreslosung

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2024: So langsam wie möglich - Predigt zur Jahreslosung

Liebe Gemeinde, jedes Musikstück hat eine Tonart, in Dur oder Moll und einen Takt: Zwei Halbe, 3/4, 7/8. Wer es spielt, muss entscheiden,  wie lange er die Töne hält, ob es ein schnelles oder langsames Stück ist. Oft gibt der Komponist einen Hinweis, wie er es sich vorstellt. Von Largo bis allegro, von grave bis vivace.

Was ist der Grundschlag unseres Lebens? Tage, Stunden, Minuten, Sekunden. Alles was wir tun, ist danach getaktet. Das Kalenderblatt die Partitur, die Uhr das Metronom. Sie tickt laut an der Wand, oder leise am Arm. In diesen Tagen ticken wir anders. Die Feiertage, viele haben Urlaub. Leben in den Tag hinein. Lange spazieren gehen, zusammen sein mit Familie und Freunden ohne auf die Uhr zu schauen. Aufbleiben, ausschlafen. Das tut gut!

Und heute Abend: Der große Taktwechsel. Von alten Jahr zum neuen.

Wenn Sie zurückschauen auf das Jahr 2023. Was ist passiert? Was hat sich verändert, was wird bleiben? Was haben sie gelernt, errungen, losgelassen? Gab es Überraschungen?

Hat Gott zu ihnen gesprochen, sich eingemischt? Hat er Ihnen ein Stoppschild in den Weg gestellt? Einen Schubs gegeben? Oder sie ruhig machen lassen?

In welcher Tonart war das Jahr gestimmt, in Dur oder Moll? Schräg-dissonant modern? Oder eine von den ungewöhnlichen alten Tonarten?

Wie war es getaktet: Schnell, dynamisch, voll guter Energie oder hektisch-gehetzt? In ruhigen Gang oder langsam getragen? Tanzend oder schleppend? Grave oder vivace? Largo oder allegro? Sind sie durch das Jahr gegangen, getanzt, gerannt? Oder mühsam gekrabbelt? Nach eigenem Rhythmus oder nach der Pfeife anderer? Was haben sie so getan Tag für Tag, klein-klein, und welche großen Linien gefolgt? Was haben sie mit besonderer Liebe und Aufmerksamkeit getan? Was mit Widerwillen, gezwungen, gegen die Überzeugung? Und was gleichgültig mit Achselzucken? Egal.

 

Alles, was ihr tut, lasst in der Liebe geschehen, schreibt Paulus. Dieser Vers aus dem 1. Brief an die Gemeinde in Korinth ist als Losung für das neue Jahr ausgewählt worden. Eine Spielanweisung: Alles, was ihr tut, lasst in der Liebe geschehen.

Alles mit Liebe tun? Wie soll das gehen? Manches muss einfach schnell erledigt werden, manches ist nicht wichtig. Wenn ich für alles dieselbe Liebe aufwende, dann schaff ich nichts. Dann verliere ich mich zwischen Hölzchen und Stöckchen. Und bei aller Liebe, manches mag ich nun mal nicht. Und muss es doch tun. Das Klo putzen, den verbrannten Topf scheuern. Aber es gibt bestimmt Dinge, die Sie mit Liebe getan haben, Menschen die sie mit Liebe angeschaut haben. Ich steh an deiner Krippen hier und kann mich nicht satt sehen. Ein Neugeborenes auf dem Arm, schlafend im Kinderbett. Sein Atmen, mein Herzklopfen, das ist dann der Takt der Welt.  Wenn Liebende sich in die Augen schauen, dann bleibt die Zeit stehen. Keine Stunde schlägt, der Augenblick ist Ewigkeit.

 

Wenn du dein Gegenüber anschaust, gleich wer es ist, du musst ihn nicht lieben. Wenn du sie genau anschaust: Ihre Augen, grave oder vivace, seine Falten, vom Lachen, von Sorgen. Die Hände, stark oder zitternd, dann stellt sich so etwas ein wie Liebe, tieferes Verstehen. Du bist ein Mensch wie ich.

 

Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe es war sehr gut, Bei der Schöpfung hat Gott sich Zeit gelassen, 8 Tage. Eigentlich Millionen Jahre, eine Ewigkeit. Gott hat die Zeit vergessen und diese Welt mit Liebe gemacht.

Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war. Und dann hast Du, Gott, mich gewollt und ins Leben gerufen. Jetzt sehe ich es auch: Ich bin eines deiner Wunder. Danke!

Selbsterkenntnis in den Augen derer, die uns lieben. Sie sind der lebendige Spiegel, sie zeigen Dir Dein wahres Gesicht. Du bist geliebt.

Herzklopfen, vivace. Ewigkeit. Du, Gott siehst mich an. Alles geschieht in deinem liebenden Blick.

Gott schaut in die Welt heute Abend, bei diesem Taktwechsel und weint. Er hat gesehen was in Beeri passiert ist, am 7. Oktober, die Bilder die man uns nicht zeigen konnte, zu entsetzlich. Er schaut nach Gaza, wo sich 2 Millionen drängen in Zeltstädten ohne Wasser und Mehl. Er liebt seine Menschen, er kann nicht wegsehen. Gott weint und er ist wohl auch zornig. Alles, was ihr tut, lasst in der Liebe geschehen.

Gott schaut auf das, woran wir leiden, woran wir scheitern. Er weint über uns und mit uns. Machmal ist er zornig. Über uns, mit uns. Aber immer mit Liebe.

 

Die Liebe ist langmütig und freundlich, sie sucht nicht das Ihre. Sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu. Sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe höret nimmer auf.

Ein Loblied auf die Liebe. Paulus hat es aufgeschrieben in jenem 1. Brief an die Korinther, an dessen Ende die Jahreslosung 2024 steht. Er hatte Mitarbeiter, hat in seinem Gemeinden gelebt. In seinen Briefen ist nicht Friede, Freude, Spekulatius. Es geht um Konflikte, Parteien, Streit, verschiedene Meinungen. Paulus ringt um Herzen und Köpfe, um Einigkeit und Liebe. Um Langmut. Er vertraut darauf: Diese Liebe gibt es, sie hört niemals auf.

Weil es Gottes Liebe ist, mit der er uns anschaut. Unter seinem Blick, in seiner Liebe geschieht alles. Sie umhüllt uns wie ein Mantel. Umspielt uns wie Musik. Largo und allegro, grave und vivace. Egal, ob du dein Lebenslied in Moll singst oder Dur. Gottes Liebe verwandelt uns - in sein Ebenbild. Was, wenn wir wirklich alles mit Liebe tun würden im kommenden Jahr? Auch die kleinen Dinge, auch die ungeliebten? Es wäre anders: Das Tempo, der Takt. Mit Liebe. Con amore. Wir könnten lassen, was wir nicht lieben. Oder anders machen. Love it or leave it or change it.

In Halberstadt, auf der Ostseite des Harzes, gibt es eine Kirche, 1000 Jahre alt. Fast verfallen, leer, zuletzt als Schweinestall genutzt. Im Querschiff links steht eine neue Orgel. Eher eine Gerüst. Vom Gehäuse nur die äußeren Streben, der Rest ist Luft. Darin 4-5 Pfeifen, neu, silbern poliert, wie es sein muss. Ein Orgel wie eine Skizze. Sie spielt: Ein Klang von allen 5 Pfeifen zusammen, modern und dissonant. Der eine unveränderte Klang wird ununterbrochen gehalten, Tag und Nacht. Nichts weiter. Das Stück, das gespielt wird, heißt Organ2, Orgel2 von John Cage. Die Tempoangabe: As slow as possible. So langsam wie möglich. Der nächste Klangwechsel steht am 5. Februar an, dann werden auch Pfeifen ausgetauscht. Der nächste Wechsel dann erst wieder 2026 im August. Der Grundschlag - eine Viertelnote dauert 4 Monate. Das Stück wird fertig gespielt sein in 600 Jahren.  

 

Es gibt keinen Hauptamtlichen für dies Projekt, kein festes Budget. Nur Ehrenamtliche und Spenden. Sie wissen nicht, wer es weiter führt, wenn sie alt werden. Sie wissen nicht, ob jemand das Dach der Kirche decken wird und sie vor dem Einsturz bewahren. Ob solange Frieden sein wird. Sie wissen nicht, wer die Orgel reparieren wird, wenn sie brüchig wird. Und was geschieht, wenn der Strom ausfällt. Aber sie verkaufen Eintrittskarten für das Jahr 2640, wenn der letzte Ton gespielt wird. Und das Stück wird gespielt. Schon jetzt in jedem Augenblick. Man kann in diese Kirche gehen und einem anderen Takt lauschen. As slow as possible. So langsam wie möglich. Eine Ewigkeit.

Dies Projekt stützt sich auf nichts. Nur auf Liebe zu diesem verrückten Projekt. Auf unbegründete Hoffnung für 600 Jahre. Auf Glauben, dass es sich lohnt und Sinn hat.

Wir stützen wir uns auf den Glauben, dass Gott uns anschaut mit Liebe. Dass die Melodie der Welt ein Liebeslied ist. Der Takt der Schöpfung Herzschlag und Atemzug. Sie hört nie auf. In Zeit und Ewigkeit.

 

Die Spielanweisung für das neue Jahr: So langsam wie möglich. Con amore. Amen.

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