14/11/2025 0 Kommentare
"Und alsbald krähte der Hahn" - Predigt am 9. November 2025
"Und alsbald krähte der Hahn" - Predigt am 9. November 2025
# Neuigkeiten

"Und alsbald krähte der Hahn" - Predigt am 9. November 2025
Karla Frenkel war ein ganz normales Lemgoer Mädchen, 11 Jahre alt. Sie wohnte mit ihren Eltern, Großeltern und Geschwistern in der Echternstraße Nr. 20. An hohen jüdischen Feiertagen ginge sie in die kleine Synagoge in der Neuen Straße auf der Rückseite von Vesuvio. So klein war die Lemgoer Gemeinde, dass nur an hohen Feiertagen Gottesdienst war. Dann kam ein Vorbeter aus Detmold. Alle Gebete und Lesungen aus der Torah wurden auf hebräisch gesprochen. Das verstand das Mädchen nicht, aber sie liebte die Musik, die gespielt wurde. Es gab eine Orgel, eine kostbare verzierte Thorarolle, auf die die 5 Bücher Mose mit der Hand geschrieben waren. Und ein Widderhorn, das wurde geblasen am Yom Kippur, dem Versöhnungstag, an dem die Juden Gott um Vergebung bitten für die Sünden des ganzen vergangene Jahr. Hölzernes Gestühl und schöne Glasfenster gab es in der Lemgoer Synagoge wie in einer Kirche.
1938 war Karla 11 Jahre alt. Am Abend des 9. November, ein Mittwoch, versammelten sich viele Menschen in der Straße vor dem Haus, machten Krach, riefen und schimpften, machten den Bewohnern Angst. Dicke schwere Ziegelsteine warfen sie durch die Fenster. Einige fielen auf das Bett, in dem kurz zuvor noch Karlas Oma gelegen hatte. Sie wollten das Haus sogar anzünden mit den Menschen darin und ließen es nur, weil es zu gefährlich gewesen wäre für die Nachbarhäuser in der engen Straße. Die Synagoge habe sie angezündet, am nächsten Tag, sie mussten erst Benzin besorgen. Alles was darin war, wurde zerstört oder gestohlen als Andenken. Die Feuerwehr hat erst gelöscht als das Feuer zu gefährlich wurde für die Nachbarhäuser. Da war schon alles kaputt.
4 Jahre später wurde Karla mit ihren Eltern und Geschwistern vom Lemgor Marktplatz aus in das Konzentrationslager Theresienstadt in Tschechien gebracht, später nach Auschwitz. Dort wurden alle außer Karla umgebracht. Was sie dort erlebt hat, hat sie aufgeschrieben, in einem kleinen Buch. Man kann es kaufen für 12 Euro nebenan im Museum Hexenbürger- meisterhaus. Wenn man es liest, muss man viel weinen. Das 11-jährige Mädchen verstand nicht, was los war in der kleinen Stadt, die sonst immer so friedlich gewesen war. Nur das ganz schlimmes bedrohliches geschah, das verstand das Mädchen.
Wie können Menschen so grausam sein, hat sich Karla Raveh als alte Frau immer noch gefragt, als sie ihre Erinnerungen 1985 für die Lemgoer aufschrieb. Es gibt Antworten:
Die eine ist: Menschen können grausam sein. Menschen können sich einreden oder anderen einreden, dass sie besser sind als andere und dass sie andere grausam behandeln dürfen. Oder müssen. Das steckt immer im Menschen, in jedem. Das ist verführerisch. Unsere Aufgabe: Auf der Hut sein. Dem nicht auf dem Leim gehen. Sei ein Mensch.
Die Sünde lauert vor deiner Türe sagt Gott zu Kain, als er Abel töten will. Du aber pass gut auf, das sie nicht über dich Herr wird.
Wie kann der Mensch so grausam sein: Eine zweite Antwort ist Angst. Mit den Wölfen heulen, damit sie mich nicht auch zerreißen. Ich kann ja doch nichts ändern. Als kleines Rädchen bin ich machtlos.
Eine dritte Antwort lautet: Eigennutz: Lieber die eigenen Schäfchen ins Trockene bringen, jeder ist sich selbst der nächste. Wer was werden will, muss mitspielen und den Mantel nach dem Wind hängen.
Bei Petrus war es Angst. Beim letzten Abendmahl war er mutig. Jesus, ich werde zu dir halten, was auch immer kommt. Ich werde auch mit dir sterben. Das meint er ganz ernst, voll guten Willens. Und erst ist er tatsächlich mutig: Als Jesus abgeführt wird von den Knechten des Hohenpriesters, zum Verhör gebracht wird in den Palast des Hohenpriesters, da geht Petrus mutig mit. Bis in den inneren Hof des Palastes. Setzt sich zu den Soldaten an das Feuer in einer langen Verhörnacht. Er will in der Nähe sein. Jesus soll wissen, er ist nicht allein. Petrus will mitbekommen, was mit ihm geschieht. Er hält sich bereit, falls er helfen kann.
Da spricht ihn eine Magd an: Hey, du bist doch einer von den Jesus-Leuten. Du gehörst zu ihm. Da bekommt er es mit der Angst zu tun. Werden sie ihn jetzt auch verhaften, fesseln, hineinzerren? Foltern? Kreuzigen? Er bekommt esmit der Angst zu tun. Kein Wunder. Er streitet es ab. Der Hann kräht. Er streite es wieder ab. Und ein drittes mal. Geht weg. Und dann krähte der Hahn. Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verraten. Jesus hatte es vorausgesehen. Und Petrus weint bitterlich.
Heute abend um 18 Uhr auf dem Marktplatz ist die Gedenkveranstaltung der Stadt Lemgo zum 9. November. Dann sprechen der Bürgermeister, eine der Lemgoer Pastorinnen, Schülerinnen und Schüler der verschiedenen Schulen. Und sie alle werden sagen: Nie wieder darf das geschehen.
Gott sei Dank. Gott sei Dank ist sich die Mehrheit der Deutschen einig: Das darf nie wieder geschehen!
Aber wir sollten demütig sein. Es nicht selbstbewusst sagen, stolz - sondern mit Furcht uns Zittern. Denn möglich ist es immer. Menschen können grausam sein, sich fürchten oder egoistisch sein. Jede und jeder. Die Sünde lauert vor deiner Türe.
In Lemgo ist es passiert. Aus Grausamkeit oder Furcht oder Eigennutz.
Die Nazis waren keine Außeriridschen. Keine braunen Männchen vom Mars, die 1945 wieder wegflogen sind in ihrem UFO. Es waren normale Lemgoer. Viele haben Täter in der Familie. Sie haben die Verbrechen ausgeführt. Aus Überzeugung, als Mitläufer, dazu gezwungen. In allen Schattierungen. Kein Schwarz-Weiß bitte. Kein überhebliches Verurteilen. Aber bitte: Ehrlichkeit! So schwer das ist.
In Amerika schickt die Regierung maskierte Männer los. Die greifen auf der Straße willkürlich Menschen, die ausländisch aussehen, stecken sie mit Gewalt in Autos und fahren sie in frisch gebaute Abschiebegefängnissse, in der Einöde, wo sie keiner findet, wo keiner protestiert.
Auch wenn sie seit 30 Jahren im Land leben, arbeiten, Steuern zahlen, Kinder haben. Egal. Sie haben nichts Böses getan. Egal. Es gibt kein Gesetz, das das erlaubt. Egal. Und die Regierung findet Menschen, die die das tun, und genug, die wegsehen. So einfach ist das.
Petrus hat versagt. Aber er bekam einen neue Chance. Jesus hat ihm verziehen und neu beauftragt. Am Ostermorgen am See.
In Chicago irgedwann in diesem Jahr, an einem Morgen hielt ein dunkles Auto mitten in der Stadt an. Maskierte Männer stiegen aus. Keine Kriminellen, sondern Beamte der Ausländerbehörde. ohne Namensschild. Sie griffen einen Mann und wollten ihn ins Auto steckene. Solche Szenen spielen sich jeden Tag ab in Amerika, überall im Land.
Diesmal verlief es anders: Der Mann wehrte sich. Heftig. Autos fuhren vorbei und hupten aus Protest. Der Mann kämpfte sich immer wieder frei, die maskierten bekamen ihn nicht in den Griff. Autos blieben stehen, Menschen stiegen aus. Sie riefen laut: Lasst ihn los! Lasst ihn gehen! Der Mann kämpfte weiter. Die Beamten schafften es nicht, ihn ins Auto zu zwingen. Sie wurden immer nervöser. Schließlich gaben sie entnervt auf. Sie ließen ihn los, stigen in ihr Auto und fuhren davon.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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